17 Juli 2012

Mundart trifft Hustenreiz – Willkommen in Berlin!


Es gibt Dinge, die tu ich grundsätzlich nicht. Man mag das rigide, engstirnig oder wertekonservativ nennen. Das ist mir gänzlich einerlei. Es gibt Dinge, die ich, selbst für Geld, gute Worte und phantastische Kontakte zu noch phantastischeren Menschen nie tun werde. Die verstoßen nämlich gegen alles, was irgendwie mit gutem Stil zu tun hat. Das sind die Kevins der zwischenmenschlichen Kommunikation. Das sind Eisberge im Menschenmeer, die jegliche Form von kommunikativer Würde, an Bord einer fehlgesteuerten Worte-und-Taten-Titanic, narzisstisch motiviert versenken.

So werde ich, als Zugezogene in Berlin, niemals mithilfe von Sprachfärbung so tun, als sei ich hier geboren. Das heißt in erster Linie: Niemals, unter keinen Umständen, nie, nie, nie „icke“ zu sagen, wenn ich mich selbst meine. Oder „dit“, wenn ich „das oder dies“ meine. Oder „ooch“, wenn ich „auch“ meine. Wer mich dabei erwischt, darf mich gerne sehr doll hauen. Hier in Berlin wimmelt es von Leipzigern, Feldstädtern, Siegenern, Hannoveranern, Niederrheinern und Münchnern, die kurz nach Zuzug in die Bundeshauptstadt rum-icken, was das Zeug hält und sich dabei rumkumpelnd-witzig „knorke“ finden. Das sprachgefühlschmerzliche ist dabei nicht die bemüht-geranzte Dialektfärbung an sich. Die ist schon in Ordnung in einer immigrantengebeutelten Stadt, die gnadenlos-schwitzkastig von ganz Brandenburg umzingelt ist. Die Dialektfärbung sollte jedoch – Obacht!- dringend und ausschließlich aus einem waschechten Berliner herauspoltern. Die werden hier leider immer seltener. Woran das liegen mag? Ich möchte mir nicht ausmalen, dass der Grund die feindliche Dialektübernahme zugezogenener Nichtberliner ist. Armes Berlin. Arm und unsexy, wenngleich infrastrukturell nix dafür gekonnt.

Ferner geht es mir seit jeher mächtig auf den bei mir medizinisch nicht aufffindbaren, aber situativ deutlich gefühlten Sack, wenn Menschen in klassischen Konzerten husten wie die Bergarbeiter unter Tage auf Zeche Karl. Damit bin ich nicht allein. Thomas Quasthoff, einer der bemerkenswertesten Sänger seines Fachs, der neben den Berliner und Wiener Philharmonikern mit vielen anderen führenden Orchestern regelmäßig auftritt und als Lied- und Konzertsänger sehr beliebt ist, fand deutliche Worte für Konzerthuster. Im Anschluss an eine Lesung seines Buches „Ach, hört mit Furcht und Grauen“ (in dem es wider Erwarten nicht um das grauenhafte und furchtbare Konzertgehuste geht) fragte ein Zuschauer: „Herr Quasthoff, sie haben vor zwei Wochen Ihr Konzert in der Berliner Philharmonie abgebrochen. Warum haben Sie das getan?“ Quasthoff erläuterte geduldig: „Weil ich mich nicht wirklich gut auf ein Lied konzentrieren kann, wenn 1400 Leute husten.“ Der Zuschauer bohrte weiter: „Ja, aber wenn die doch nun alle erkältet sind?“ Die höchst berechtigt unwirsche Antwort des Sängers lautete: „Ach, hörnse auf. Diese ärgerliche Husterei in Konzerten ist ja nun im seltensten Fall erkältungsbedingt. Die dient doch nur dem Spannungsabbau. Und dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“

Also, dit hätt ick jenau so ooch jemacht. Knorke, Herr Quasthoff!

Herzlich hustend in Erwartung einiger Spannungsfreiheit entschwindet heute


Ihre Frau B.







(23.10.2007)

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