16 Dezember 2012

„Jut, denn mal Märri Krissmess, wa?“

Berlin bereitet sich vor. Das Jahr hat es fast geschafft. Jetzt noch schnell Weihnachten feiern und Sylvester, dann ist es Geschichte. Das Jahr rast seinem Ende zu. Menschen werden, dessen ungeachtet, auch in diesem Jahr wieder denken, dass tierisch viel Zeit zum Sachenerledigen und Erholen zwischen Weihnachten und Neujahr ist. Was aber natürlich großer Quatsch ist. Genau so großer Quatsch ist es, diese Zeit, in der keine Zeit ist, "zwischen den Jahren" zu nennen. Zwischen den Jahren ist, genaugenommen, gar nichts. Ein Jahr geht, das andere schließt lückenlos auf, und plötzlich ist wieder ein Januar da. Huch! Na das ging ja fix. Milliarden durchgestrichener 2006er auf frisch datierten Januarbriefen sind der Beweis dafür, dass diese Veränderung vom Gewohnheitstier Mensch nicht einfach so hingenommen wird.

Völlig unbeeindruckt vom Gesetz der Allejahrewiederlichkeit rast nun der durchschnittliche Berliner in der letzten Woche vor Heiligabend los, um alles zu kaufen, was ihm vor die Flinte kommt. Bekanntlich gibt es ja nach Weihnachten niemals jemals wieder irgendeinen Artikel in den Läden. Und sollte es doch noch irgendetwas Käufliches geben, im Januar, dann wird es vermutlich vierhundertmal so teuer sein. Da ist es durchaus angebracht, die Berliner Vorweihnachtsdisziplinen „Einkaufswagen in die Hacken des Vordermanns schieben“, „Genervt nach dem Marktleiter brüllen“, „Den letzten Tannenbaum im Hechtsprung wegschnappen“ und „Bei allem, was man tut, schlimm grimmig sein“ zu perfektionieren. Verkäufer wie Kunden bewegen sich stracks auf ihre persönlichen Nervenzusammenbrüche zu. Nahkampf beim Einkaufen ist schließlich kein Kindergeburtstag, und den von Gottes Jüngstem feiern wir in diesem Jahr an einem Sonntag, da sind die Läden eh zu, das passt.

Mit großen Kopfhörern auf den Ohren sieht man mich, die Exilrheinländerin, dieser Tage durch die Straßen gehen. In akustischer Isolation durch selbstgewählte Ohrenbeschallung ist das externe Gelärme aushaltbarer, schützt jedoch nicht vor verbalen Übergriffen durch vorweihnachtlich verbrauchte Dienstleister. Was Berliner Verkäufern schon im Sommer schwer fällt, wird ihnen nun, in der Vorweihnachtszeit, zur psychischen Zerreißprobe. Als ich eben in der Metzgerei war, um dem Meister des Geschäfts mein Anliegen: „Ich möchte bitte einen Schweinebraten für Samstagvormittag vorbestellen“ zuzuhauchen, brüllte der Bemesserte: „Keene Bestellung mehr jetze, Samstach reinkieken und koofen, wat da is!“. Ich sah das Weiße in seinen Augen und wusste, es wäre ihm lieber gewesen, mich sofort mit dem noch blutigen Messer zu Gyros zu verarbeiten. Als ich floh, krähte des Meisters Weib mir noch ein zackiges „Jut, denn mal Märri Krissmess, wa?“ auf die ungeschützten Ohren. Wenn Gott dem Menschen Augenlider gegeben hat – warum, um Himmels Willen, hat er dann die für die Ohren weggelassen?

Ich überlege mal, wie man dauerhaft mit sowas umgeht, ohne eine Bebrülltwordenselbsthilfegruppe gründen zu müssen. Zwischen den Jahren. Wenn so viel Zeit ist. Zum Sachentun und Sachendenken. Bis dahin Ihnen ein reizendes Fest. Und ich sage es Ihnen gerne mit den goldenen Worten meines Metzgermeisters:
Im Januar reinkieken und lesen, wat da is!

Es grüßt Sie sehr herzlich

Ihre Frau B.





[20.12.2006]

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